Germanistik in der Schweiz. Online-Zeitschrift der SAGG 1/2002


Jens Immanuel Baggesens "Parthenäis oder Die Alpenreise": eine vergessene Berner-Idylle.

Adrian Aebi (Basel / Berlin)



Die von der jüngst zum UNESCO-Naturerbe erklärten Berner Jungfrau Region ausgehende Faszination erwachte bekanntlich im 18. Jahrhundert im Zuge der durch das subjektiv-empfindsame Naturgefühl und die Theorie des Erhabenen angeregten touristischen Alpenerschliessung[1] Der damals einsetzende Reiseboom in die Schweizer Alpengegenden, insbesondere in das Berner Oberland, fand seinen literarischen Niederschlag in (fiktiven) Reiseberichten sowie in sogenannten Gebirgs- oder Alpenerzählungen (vgl. Raymond 1993, 59 und passim).

Eines der zahlreichen in diesem Kontext entstandenen Werke ist das "idyllische Epos" "Parthenäis oder Die Alpenreise" (1803) des dänisch-deutschen Dichters Jens Baggesen (1764-1826), ein damals weit verbreiteter, heute aber, im Gegensatz zu Baggesens Reisebericht "Labyrinten eller Reise gjennem Tydskland til Schweiz" (1792/ 93)[2], kaum mehr beachteter Text. Die "Parthenäis" besingt in vossischen Hexametern die Reise dreier Berner Jungfrauen zur Jungfrau. Verbunden mit Bern ist aber nicht nur das Werk, sondern auch sein Autor: Baggesen war mit der Bernerin Sophie von Haller verheiratet und hat auch wiederholt in Bern gewohnt.

Von allen Fragen, welche die "Parthenäis" und ihr Autor aufzuwerfen vermögen, ist diejenige nach ihrem Bernbezug am wenigsten aufgearbeitet. Diesem Aspekt soll deshalb im Folgenden das Hauptinteresse gelten. Das Anschneiden weiterer Problemfelder kann aber vielleicht mit dazu beitragen, ein mehr oder weniger vergessenes Werk und einen, zumindest in der Germanistik, ebensolchen Autor der Forschung wieder schmackhaft zu machen.[3]

Das schmale Interesse spiegelt sich in der Überschaubarkeit der deutschsprachigen Sekundärliteratur. Zwar erscheint der Name Baggesen in Werken zur Romantik[4] und auch immer mal wieder in Literaturgeschichten, auch neueren Datums,[5] monografische Arbeiten zum Autor und seinen deutschsprachigen Werken sind indessen selten, was angesichts seines weiten Interessenfeldes, das nicht nur Literatur, sondern ebenso Philosophie[6] und Linguistik[7] umfasste, eigentlich erstaunt.

Dem philosophischen Denken Baggesens widmen sich die Dissertationen von Hesse (1914) und Nägele (1971). Zur Linguistik ist mir ausser Albertsen (1970) nichts begegnet. Analysen von Baggesens literarischem Schaffen finden sich in Nägele (1971), in einigen Aufsätzen von Albertsen (1964, 1965a, 1967, 1969, 1970) und in neuerer Zeit, mit dem Schwerpunkt "Labyrinth", in Perlet (1986), Sautermeister (1992) und Bernhardt (1995). Für die "Parthenäis" ist schliesslich Zürchers Untersuchung von 1912 zu nennen (Zürcher 1912).

Es ist vor allem die fast ein Jahrhundert alte Arbeit von Otto Zürcher, die dem Bernbezug in Baggesens "Parthenäis" einige Aufmerksamkeit schenkt.[8] Ihr und dem Eingangskapitel in Nägele (1971) werde ich in der anschliessenden biografischen Skizze folgen, denn die von Baggesens Sohn August in Dänisch verfasste vierbändige Biografie (Baggesen 1843-1856) ist bislang nicht übersetzt worden.[9] Die mit Bern verbundenen Ereignisse sollen hier den Schwerpunkt bilden, die übrigen Lebensdaten nur knapp vermerkt werden.

 

Zu Baggesens Biografie und zur Entstehung der "Parthenäis"

Jens Immanuel Baggesen[10] wird am 15. Februar 1764 in Korsör auf der dänischen Insel Seeland in einfache Verhältnisse geboren. Als Dichter tritt er 1785 mit komischen Erzählungen im Stile Wielands, "Comiske Fortaellinger", hervor.

Aus gesundheitlichen Gründen, aber auch, weil er in Kopenhagen mit dem an Wielands "Oberon" angelehnten Libretto zu Friedrich Ludwig Aemilius Kunzens Oper "Holger Danske" (1789) einen Theaterskandal verursacht hat (vgl. Nägele 1971, 12f.; Perlet 1986, 386; Schwab 1996) unternimmt Baggesen 1789 in Begleitung von Friederike Brun und Carl Friedrich Cramer eine Reise nach Bad Pyrmont, auf welcher er unter anderen Johann Heinrich Voss trifft. Für sein weiteres Leben bestimmend wird der Besuch bei Christian und Louise Stolberg in Tremsbüttel: Als er nämlich im Zimmer von Louise Stolberg einer Büste von Charles Bonnet und einer Landschaft mit Aussicht über den Thuner See gewahr wird, erwacht in ihm der Wunsch, nach der Schweiz zu reisen.[11] Auf ärztlichen Rat hin (vgl. Zürcher 1912, 17), der offenbar auch die Empfehlung sich zu verheiraten enthält (vgl. Albertsen 1965a, 566)[12], tritt Baggesen schliesslich von Bad Pyrmont aus tatsächlich seine Reise in die Schweiz an. Begleitet wird er nun von Adam Moltke und Johann Gottlieb Karl Spazier, der die Gruppe aber in Basel verlässt. Baggesen und Moltke wandern weiter durch das Münstertal an den Bielersee, dann über Solothurn und Aarau nach Zürich, wo Baggesen mit Johann Caspar Lavater Bekanntschaft schliesst. Gemeinsam mit Moltke und einem weiteren Landsmann tritt er dann, nach dem Besuch des Rheinfalls bei Schaffhausen, seine erste Alpenwanderung an: über Gersau zur Tellskapelle, durch das Reusstal auf den Gotthard, weiter über die Furka ins Wallis, über die Grimsel ins Haslital, von dort über die grosse Scheidegg nach Grindelwald und über die kleine Scheidegg und die Wengernalp nach Lauterbrunnen und schliesslich nach Unterseen (vgl. Zürcher 1912, 17f.; Nägele 1971, 13). Baggesen besucht also klassische Destinationen der empfindsamen Alpenreise und damit auch erstmals die späteren Schauplätze der "Parthenäis".[13]

In Thun lernt Baggesen am 5. September 1789 Sophie von Haller, eine Enkelin Albrecht von Hallers, kennen (vgl. Zürcher 1912, 20), die er im März 1790 in Bern heiratet.[14]

Während dieses ersten Aufenthaltes in Bern beschäftigt sich Baggesen mit deutscher und französischer Literatur (vgl. Zürcher 1912, 21). Nach einem Parisbesuch und weiteren Alpenwanderungen tritt er im Juni 1790 gemeinsam mit seiner Frau die Rückreise nach Kopenhagen an.

1793 reisen die Baggesens erneut nach Bern. Ab Jena begleitet sie Charlotte Wieland, die danach für einige Zeit in Bern bleibt, wo die Gesellschaft Mitte August eintrifft. Im folgenden Winter unternimmt Baggesen gemeinsam mit Karl Ludwig Fernow eine Reise nach Italien, kehrt jedoch nach Besorgnis erregenden Nachrichten über den Gesundheitszustand seiner Gattin im Vorfrühling 1794 über den Gotthard zurück. Sophie von Haller erholt sich in der Folge wieder. Die Familie Baggesen verbringt den Sommer im idyllischen "Bellevue" am Fusse des Gurten. Im Juni pilgert Baggesen mit seiner Gattin, deren Schwester Henriette und Charlotte Wieland auf die St. Petersinsel.[15] Erlebnisse dieser Reise sind möglicherweise auch in die "Parthenäis" eingeflossen. Dem "idyllischen Epos" unmittelbar zu Grunde liegt nach Zürcher hingegen eine Bergtour, die in Briefen und Skizzen angedeutet ist (vgl. Zürcher 1912, 24; Baggesen 1836b, X). So schreibt Baggesen am 17. Juli 1794 an Karl Leonhard Reinhold:

"Ich bin wieder auf dem Sprunge, eine Reise zu machen. Sophie packt zusammen, wir gehen nach Bern, um da unsere liebe Charlotte und Freundin Gritli G. abzuholen zu einer Reise nach Hasli, nach Grindelwald und Lauterbrunnen." (Baggesen 1831, I, 358)

Noch im selben Monat wandern die Baggesens gemeinsam mit Gritli Gruber und Charlotte Wieland zu Fuss von Bern nach Unterseen, durch das Lauterbrunnental, über die Wengernalp und die kleine Scheidegg nach Grindelwald und über die grosse Scheidegg ins Haslital. Es ist damit in ihrem ersten Teil die in der "Parthenäis" geschilderte Route. Im Tagebuch bezeichnet Baggesen seine Begleiterinnen und sich selbst mit den Namen, die er auch den Hauptpersonen seines Epos beilegen wird: Myris, Cynthia, Daphne, Nordfrank. Auch die griechische Götterwelt, ein wichtiger Bestandteil der "Parthenäis", erscheint hier bereits im Diarium (vgl. Zürcher 1912, 24f.).

Den Rest des Sommers verbringen die Baggesens bei der Familie des Barons Bondeli auf Schloss Châtelard am Genfer See (vgl. Zürcher 1912, 26). Aufgrund des ähnlich klingenden Namens vermutet Zürcher in den Bondelis die Vorbilder für Andros und Theone von Bonal, dem Elternpaar der "Parthenäis" (vgl. Zürcher 1912, 27).

1795 verlassen die Baggesens Bern und treten erneut eine Reise nach Dänemark an. In dieser Zeit soll die "Parthenäis" entstanden sein (vgl. Baggesen 1836b, XVI) und so wird sie denn auch in Briefen erwähnt (vgl. Zürcher 1912, 28), etwa in einem Schreiben an Johann Heinrich Voss vom 18. Mai 1796:

"Wir sehen uns also dies Mal nicht wieder - und Gott weiss, wie fern das nächste Mal ist. O Voss und Ernestine! Ihr holden, treuen, griechisch-einfachen Ausnahmen von den regellosen Regelmenschen unserer geschmacklosen, verkünstelten, neubarbarischen Zeit! wie unsäglich gern lebten Nordfrank und Myris in Eurer wohltätigen Nähe!" (Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 98; meine Herv.)

"Die Parthenäis habe ich seitdem nicht angesehen […]." (Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 100)

1797 geht es wieder Richtung Süden, wo man sich eine Linderung von Sophie von Hallers Lungenleiden erhofft. Sie stirbt aber bereits am 5. Mai 1797 in Kiel. Baggesen kehrt mit seinen Söhnen nach Bern zurück. Von hier aus unternimmt er weitere Alpenwanderungen.

Im September 1798 reist Baggesen mit den Kindern und der Schwiegermutter über Paris, wo er sich mit Françoise Madeleine "Fanny" Reybaz verlobt, die er ein Jahr später heiraten wird, nach Kopenhagen, um das Amt eines Mitglieds der Direktion des Königlichen Theaters anzutreten.

Von der weiteren Biografie, die vor allem auch durch stetes Reisen geprägt ist, sei die Professur für dänische Sprache und Literatur an der Universität Kiel hervorgehoben, die Baggesen ab 1811 für einige Jahre innehat (vgl. Nägele 1971, 28). Nach dem Tod der zweiten Ehefrau holt ihn sein in Bern lebender Sohn Carl 1823 zu sich. Baggesen besucht erneut die Alpen, vor allem 1824 von Unterseen und Interlaken aus, wo er nun auf ärztliches Anraten hin wohnt. Im darauf folgenden Jahr bricht er zu einer Badekur nach Carlsbad auf. Eine letzte Reise nach Kopenhagen kann er nicht mehr abschliessen. Baggesen stirbt am 3. Oktober 1826 in Hamburg.[16] Sein Leichnam wird nach Kiel überführt und dort an der Seite von Sophie von Haller, Karl Leonhard Reinhold und dessen Frau Sophie Wieland beerdigt (vgl. Nägele 1971, 34).

 

Baggesen und Sophie von Haller als Vorbilder für Nordfrank und Myris

Die Sekundärliteratur geht davon aus, dass Sophie von Haller, ihre Freundinnen Gritli Gruber und Charlotte Wieland sowie Baggesen selbst den Hauptpersonen der "Parthenäis" Patenschaft gestanden haben. Da das Paar Nordfrank (Baggesen) und Myris (Haller) im Zentrum des Geschehens der "Parthenäis" steht, möchte ich im Folgenden anhand einiger Briefstellen und anderer Quellen das Verhältnis zwischen Baggesen und Haller vorsichtig beleuchten. Es ist klar, dass dies nur in sehr eingeschränktem Rahmen geschehen kann und Aussagen über die Beziehung der beiden im Status der Spekulation bleiben müssen.

Über Baggesens Begegnung mit Sophie von Haller und die anschliessende Liebesgeschichte sind unterschiedliche Einschätzungen zu lesen.[17] Zürcher hält fest, Baggesen habe sich sofort in Haller verliebt. Eine gemeinsame Fahrt auf dem Thuner See und ein plötzlich ausbrechender Sturm - ein Motiv, das sich in der "Parthenäis" wiederfindet - habe die beiden einander dann näher gebracht (vgl. Zürcher 1912, 20). Will man Nikolai Karamsin glauben, der dieser Geschichte in seinen "Briefen eines russischen Reisenden" (1799-1802) einige Seiten widmet (Karamsin 1981, 313-317), so hat der Umstand der Verwandtschaft mit Albrecht von Haller die Verliebtheit Baggesens zumindest nicht gerade verhindert (vgl. Karamsin 1981, 314f.), auch wenn aus den Formulierungen kaum geschlossen werden kann, Baggesen hätte vor allem den berühmten Schwiegergrossvater geheiratet, wie dies Albertsen suggeriert (vgl. Albertsen 1965a, 566, Anm. 4; Albertsen 1964, 108f). Von einem Sturm auf dem Thuner See weiss Karamsin nichts zu berichten.

Baggesen selbst hat die Begebenheiten in einem Briefkonzept an seinen Gönner Herzog Friedrich Christian II. von Schleswig-Holstein-Augustenburg festgehalten (datiert: Bern, 6. Dez. 89):[18]

"In dieser Lage [scil. verzweifelt über seinen Gesundheitszustand] sah' ich Fräulein Sophie von Haller, eine Enkelinn von den [sic!] unsterblichen Haller, eine junge unschuldige überaus liebenswürdige Dame, mit ungewöhnlichen Talenten, die durch die vortrefflichste Erziehung in der besten Schweitzerischen Familie zu vollkommner Blüthe gereift sind. Wir wurden auf einer Reise auf den [sic!] Thuner See, wo sie in Begleitung des Herrn Schultheiss von Sinner mich [sic!] begegnete, bekannt. Ich wurde nachher in Ihrer vortrefflichen Familie mit unbeschreiblicher Artigkeit aufgenommen, so wie überhaupt in ganz Bern - und lernte sie dadurch näher kennen. Ich entdeckte bald die Harmonie unserer Denkungsart. Ich fühlte dass ich ohne Ihr [sic!] nimmer glücklich werden könnte - ich fühlte zum erstenmal die wahre, vernünftige, moralische Liebe, die nicht in der Phantasie, sondern in gesunden Köpfen und reinen Herzen keimt - und wurde todkrank." (Schulz 1910, 5f.)

Seine Heiratspläne eröffnend, fährt er dann fort:

"Ich fühlte was ich war, und was ich werden könnte - ich fasste die ziemlich kühne Idee, fremd, ohne Titel und Character, ohne Vermögen, in dem vielleicht stolzesten Staate Europens, mich um eine freie Republicanerinn, die ohnedem der Stolz ihrer Familie ist, zu bewerben.

Ich war schon ziemlich bekannt in Bern - man schätzte mich überall mehr als ich verdiente - man sprach von den jungen Dänen, als von den würdigsten jungen Reisenden[19] - man hatte sich mit mir über die interessanteste [sic!] Gegenstände unterhalten - ich schrieb häufig Briefe, worin ich einzelne Anmerkungen über die Schweiz, über die französische Revolution und dergleichen einstreute - man fand mich in keinem wissenschaftlichen Gespräche ganz fremd - ernsthafter in meinem Betragen als ein Jüngling von meinem Alter zu seyn pflegt. Der Ratsherr v. Fellenberg, Berns Orakel, hatte über mich sein 'vidi' kund gemacht. Kurz ich wurde - ich begreife nicht zu gut warum - in den ersten Familien Berns sehr geachtet und geliebt. Indessen war der Hrr. Landvogt von Haller ein alter sehr strenger Republicaner, und überhaupt alle Berner sehr strenge im Capitel von [sic!] Heiraten, weil selbige Vehikeln der Ehrenstellen, und der Rathsitzen sind. Ich entdeckte meinen Zustand und Gesinnung der Obristin v. Brown, Tochter von den [sic!] grossen Haller, und Gemahlin des Englischen Ministers hier, eine Tante von dem Fräulein - und eine äusserst vortreffliche Dame. Sie kannte mich - und nach und nach wurden alle Hindernisse überwunden - die ganze Familie einwilligte, wenn nur der alte Vater zu überreden wäre." (Schulz 1910, 6f.)

Ja, wenn nur der alte Vater zu überreden wäre. Damit gelangt Baggesen zum Anliegen seines Briefes. Denn der strenge Republikaner verlangt finanzielle Sicherheiten für seine Tochter, insbesondere die Vorsorge in einer Witwenkasse (vgl. Schulz 1910, 7). Es handelt sich also um einen Bittbrief, was bei der Beurteilung des Inhalts nicht unbeachtet bleiben darf. Aber auch bei Berücksichtigung dieses Faktums: Zeichen einer stürmischen Verliebtheit sind den Zeilen jedenfalls nicht zu entnehmen. Vielmehr spricht Baggesen von "moralischer Liebe", deren Ideal später auch die "Parthenäis" beschwören wird.

Das Nebeneinander von Mut und Verlangen nach männlichem Beistand und Schutz, welches die drei "Parthenäis"-Schwestern charakterisiert, findet sich bereits im Bild, das Baggesen in der Korrespondenz von seiner Sophie zeichnet. Als eigenständige, mutige Frau wird sie in einem Brief an Reinhold dargestellt (datiert: Nürnberg, den 3. August 1793).[20] Baggesen schildert hier einen Kutschenunfall im Thüringer Wald:

"Der Kutscher verlor den Kopf, nur Sophie und ich nicht. Lotte, Juliane und der kleine zahnende Ernst weinten. Ich munterte sie auf, brachte Sophie mit vieler Noth aus dem Wagen; denn die Thüren liessen sich nicht öffnen. Sie zog Stiefeln an, gürtete sich ruhig, und entschloss sich mit beispiellosem Heldenmuth, allein den wilden, kothigen, unbekannten Waldbergweg vorauszugehen bis zum nächsten Dorf, um Hülfe zu suchen; denn ich durfte den Wagen und die lieben Wesen darin nicht verlassen. Den Fichtenwald hinauf und in diesen Berghöhen ist’s schrecklich düster - sie verschwand bald aus unseren Augen - mein Herz bebte vor Angst und Bewunderung." (Baggesen 1831, I, 275)

Eine ganz andere Seite von Baggesens Sophie-von-Haller-Bild erscheint in Briefen an die Gattin. Vom oben beschriebenen Mut zur Handlung ist dort nicht mehr viel zu spüren. In einem Brief, den Baggesen am 22. Dezember 1793 aus München an die kränkelnde Gattin in Bern richtet, herrscht ein bedeutend weniger heroischer Ton:

"Sehne Dich also nicht mehr so traurig zurück nach Kopenhagen! Es ist wahr! Man kennt Deinen Werth dort ein wenig besser, man liebt Dich dort mehr ohne Rücksicht auf Ceremonien: aber - süsse Sophie! Auch ich kann urtheilen; und auch ich bin unpartheiisch: Die Schweizerliebe ist rauh; aber sie hält; sie ist eigentlich nicht Liebe, sondern Treue. Die Schweizerinnen, die nicht in der Freundschaft ewig treu bleiben oder geblieben sind, haben diese reine Empfindung nie gekannt, darauf kannst Du sicher bauen. Vergesse nicht, lieber Engel, dass Kopenhagen auch, besonders in meiner Abwesenheit, seine Unannehmlichkeiten hat. Vergesse nicht den vornehmen Ton, der dort mir ebenso wenig gefällt als der Bernerische Parückenton. Halte Dich, wo Du bist, an Menschen, Die nichts nationales haben, die man sich eben so gut in Dänemark und Frankreich als in Bern oder Appenzell denken kann. Solche sind Deine Mutter, Deine Tante Zeerleder, Deine Grossmutter, alle Deine jungen Freundinnen, besonders Gritli und ihre Schwestern, Lotte Wieland, Stapfer, Salchi, Tralles und Rengger.

Um Dich vollends über Deinen Aufenthalt zu erfreuen, so denke an die dort ganz einzige, unaussprechlich schöne, erhabene, lebendige Natur, die selbst im Winter schöner ist, als jede andre im Sommer - denke an die Dir bevorstehende Entzückung, wenn Du mit Gritli und Lotte und Deinem Carl diese Natur wieder aufblühen sehen wirst, die ersten Blumen keimen, die ersten Knospen beobachten wirst - bemerken wie die majestätischen Alpen sich entwintern, wie der Gurte und die Aare sich neue Kränze winden - denke an diesen reinen, unschuldigen, süssen Genuss, der Dir seit vier Jahren nicht zu Theil geworden ist - […]." (Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 34f.)

Diese Zeilen zeichnen das Bild einer eher unselbstständigen, unsicheren, dafür aber sanften, engelhaften Frau, welcher der Gatte die Kommodität ihres Daseins - Natur, Freunde - vordozieren zu müssen glaubt. Ein Brief aus St. Urban vom 17. Mai 1790 rückt auch noch das Kindliche in den Rahmen dieser Charakterisierung ein:

"Mache Dir also niemals ein gelehrtes Professorin-Gewissen darüber, wenn Du Dich bisweilen über Dinge, die, wie der Philosoph sagt, nicht eine Pfeife Tabak werth sind, bis zur Ausgelassenheit freuest! Wie zum Beispiel, wenn Du Pleyls Sonate fertig spielen kannst, oder wenn Du an einem kleinen Strümpfchen die letzte Masche strickest, oder wenn Du mich Dir eine Weile näher erfährst [sic!], oder wenn Du einen Blumenstrauss von Deiner Freundin bekommst, oder wenn Du ein neues französisches Wort auf able findest." (Baggesen 1843-1856, I, Tilloeg, 108).

Was Sophie von Haller aber, und damit kehre ich zurück zum Brief vom 22. Dezember 1793, noch mehr als die bevorstehenden Naturerlebnisse glücklich stimmen sollte, ist die Vorstellung, wie ihr Ehemann dann im März über die Alpen zu ihr zurückkehren wird. Baggesen schliesst mit einer emphatischen Beschwörung des ehelichen Glücks, die indessen unentschieden lässt, ob es eher seine Gattin oder sich selbst davon zu überzeugen gilt:

"Wir sind glücklich, Sophie! unaussprechlich glücklich! ewig glücklich! denn wir lieben uns, wie nur wenige Selige lieben." (Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 37)

Welcher Art diese seltene Liebe ist, bleibt hier offen. Eine Antwort lässt sich vielleicht in der "Parthenäis" finden.

 

Zur "Parthenäis"

Publikationsgeschichte

Die "Parthenäis" ist in drei Fassungen erschienen.[21] Die erste Ausgabe von 1803[22] trug den Titel "Parthenäis oder Die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in neun Gesängen" (Baggesen 1803). Diese Fassung erschien 1808 in einer zweiten Auflage als "Taschenbuch für Damen" unter dem Titel: "Parthenais oder Der Jungfrauen Wallfahrt zur Jungfrau. Ein Idyllisches Epos in 9 Gesängen" (Baggesen 1808a). Im selben Jahr erschien aber auch eine erweiterte Fassung mit nunmehr zwölf Gesängen unter dem Titel: "Parthenäis oder Die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in Zwölf Gesängen" (Baggesen 1808b). Diese Ausgabe trug aber offenbar auf dem Umschlag ebenfalls den Vermerk "Taschenbuch für Damen" (vgl. Zürcher 1912, 42f.). Von dieser Fassung erschienen zwei weitere Auflagen, die erste unter dem Titel "Taschenbuch für Damen. Parthenäis oder der Jungfrauen Wallfahrt zur Jungfrau. Ein idyllisches Epos in zwölf Gesängen" (Baggesen 1812), die zweite unter dem Titel "Parthenaïs oder die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in zwölf Gesängen" (Baggesen 1819). 1836 schliesslich erschien eine letzte umgearbeitete Fassung[23] als erster Band der "Poetischen Werke" (Baggesen 1836a). Die auffälligste Änderung betrifft die Aufgabe der kombiniert analytisch-progressiven Disposition zu Gunsten einer chronologischen Erzählabfolge. Weiter wurden viele dunkle Stellen durch erhellende, teilweise umfangreiche Ergänzungen ausgemerzt. Aus dieser Ausgabe werde ich im Folgenden zitieren. Wenn ich Stellen aus der Ausgabe Baggesen (1808b) für aussagekräftig halte, werde ich sie ebenfalls anführen. Zu einer weiteren geplanten Umarbeitung, die offenbar den mythologischen Apparat hätte eindämmen sollen, ist es nicht mehr gekommen (vgl. Baggesen 1836b, XVI). Die "Parthenäis" wurde von Claude Charles Fauriel ins Französische (1810) und von Flemming Dahl ins Dänische (1965) übersetzt.

 

Zum Werk

Ein kurzes Resümee darf als Inhaltsangabe genügen: Drei junge Schwestern machen sich von Bern aus mit ihrem Führer, dem Poeten Nordfrank, auf zu einer Reise zum Fusse der Jungfrau. Hermes und Amor - die griechischen Götter haben, von den Türken aus dem Olymp vertrieben, ihren Wohnsitz im Berner Oberland genommen - trachten danach, das Unternehmen zu verhindern und legen den Wandernden mannigfaltige Hindernisse in den Weg. So fällt Nordfrank durch einen Pfeilschuss-Anschlag Amors in leidenschaftliche Verliebtheit zur jüngsten der Jungfrauen, Myris. Da die Eltern der Schwestern Nordfrank jedoch ihr ganzes Vertrauen ausgesprochen haben, darf dieser seine Gefühle nicht entdecken und leidet Liebesqualen. Als besonders heimtückische göttliche Attacke erweist sich das Aufgebot des Schwindeldämons Azeus. Dank der Unterstützung Apollons, der seine schützende Hand über die Wandernden legt, wird eine Katastrophe verhindert. Die Reisegesellschaft erreicht schliesslich so unbeschadet wie unberührt ihr Ziel, wo sie, nachdem Nordfrank noch allein den Eiger bestiegen und dort die Dichterweihe empfangen hat, gemeinsam mit den unterdessen ebenfalls eingetroffenen Eltern die Verlobung Nordfranks mit Myris feiern.

Die Handlung vollzieht sich vor dem Hintergrund der erhabenen Berner Alpenlandschaft, deren Schilderung nicht allein die kanonischen Destinationen, Sehenswürdigkeiten und Naturphänomene, z.B. den Staubbach im Lauterbrunnental, das Alpenglühen oder das Knarren des Gletschereises, berücksichtigt, sondern sich auch der zeitgenössischen sprachlichen Topoi der Alpenbeschreibung bedient.[24]

Der Naturschilderung und der erzählten Handlung kommt gleiches Gewicht zu.[25] Dass die Natur mehr als blosse Kulisse der Handlung ist, bemerkt Baggesen selbst in einem Brief an Moltke (datiert: Marly, 1805). Im Zusammenhang mit einigen Überlegungen zur Dichtkunst und zu seinem geplanten Epos "Oceania" schreibt er:

"Fürchte indess nicht, mein Freund, dass ich meine Freigiebigkeit mit Beschreibungen so weit treiben werde, wie in der Parthenäis - die eigentlich eine Beschreibung der Alpen ist, mithin etwas mehr dergleichen verträgt, als irgend ein anderes Gedicht." (Baggesen 1843-1856, III, Tilloeg, 127; Herv. im Orig.)

Andererseits sind die Personen auch nicht bloss Staffage. Der Zustand der Unschuld, den die Schwestern und ihr Führer exemplarisch verkörpern, bildet das Grundthema des Epos. Die signifikant gehäufte Verwendung der Vokabel "Unschuld" setzt deutlich diesen Akzent. In diesem facettenreichen Begriff, dessen Bedeutungsgehalt den von der arkadischen Idylle beschworenen antizivilisatorischen Urzustand, die Jungfräulichkeit, aber ebenso das Ideal einer sittsamen Ehe umfassen mag (vgl. Adelung 1793-1801, IV, 888), und eventuell in seiner Anbindung an den biografischen Baggesen und dessen zwiespältiges Verhältnis zur Erotik (vgl. Albertsen 1964; 1965a), dürfte ein Schlüssel zum Verständnis der "Parthenäis" liegen.

Trotz der Unschuldsthematik kommen erotische Episoden - das vom sich schlafend gebenden Nordfrank heimlich beobachtete Fussbad der Schwestern im fünften Gesang etwa (Baggesen 1836a, V, 21-259), das Trocknen der nassen Kleider nach überstandener Fahrt über den stürmischen Thuner See (Baggesen 1836a, IV, 188-213) oder das sich daran anschliessende unvermutete Zusammentreffen von Nordfrank mit der immer noch leicht bekleideten Myris bei der Beatushöhle (Baggesen 1836a, IV, 254-287)[26] - nicht zu kurz. Durch ihre detaillierten Schilderungen wird klar, welch starken Prüfungen Nordfranks Tugendhaftigkeit ausgesetzt wird. Gleichzeitig werden die erotischen Szenen in ihrer Ausführlichkeit aber natürlich auch der Leserschaft vorgeführt, am deutlichsten dort, wo Nordfrank nicht als Zeuge zugegen und ihre Prüfungsfunktion also nicht aktiv ist, wie im Bild der von nassen, gelockerten Hemdchen nur halb bedeckten Brüste der Schwestern (Baggesen 1836a, IV, 195-197). Selbst wenn diese Szene mit den halbnackt tanzenden und sich neckenden Schwestern den "unschuldigen" Umgang der jungen Frauen mit ihrem Körper anzeigen soll, scheint sie doch nicht zuletzt zum erotischen Vergnügen des Lesers geschaffen zu sein, was der Unschuldsthematik in gewissem Sinne widersprechen mag. Immerhin kann der Leser, indem er hier gleichsam den Voyeurismus Nordfranks aus der Fussbadszene nachahmt[27], seine eigene Tugendhaftigkeit überprüfen.

Die Lektüre der "Parthenäis" hinterlässt also einen eher heterogenen Eindruck: zur Feier der Unschuld gesellen sich genüsslich ausgeführte erotische Szenen, zur romantisch empfundenen Bergwelt eine nihilistische Abgründe aufreissende Schwindelszene (vgl. Albertsen 1964). Ob wir es bei diesem "Taschenbuch für Damen" mit einer trivialen Alpen-Schmonzette oder mit einem philosophisch tiefgründigen Zeitkommentar zu tun haben, oder am Ende mit beidem, soll hier nun ebensowenig entschieden werden wie die sich aus der Bezeichnung "Idyllisches Epos" ergebenden gattungstheoretischen Probleme des Werkes[28], das sich einerseits formal an Vossens "Luise" (1795) und Goethes "Hermann und Dorothea" (1797) anlehnt, andererseits von Wilhelm von Humboldt in die Nähe des "Komischen Epos" gebracht wird (Baggesen 1843-1856, III, Tilloeg, 100f.).[29] Ausser Acht bleibt auch die Publikationsform "Taschenbuch" und der dadurch anvisierte Adressatinnenkreis sowie die Frage nach der Einordnung Baggesens in die geistesgeschichtlichen Strömungen der Zeit um 1800. Vielmehr möchte ich nun auf das von Baggesen vermittelte Bernbild fokussieren.

 

Die "Parthenäis" und die Stadt Bern

Die Handlung der "Parthenäis" nimmt von Bern ihren Ausgang. Die Stadt ist als realer, aus heutiger Sicht als historischer, Ort identifizierbar. Neben dem Ortsnamen "Bern" werden auch Gewässer-, Flur-, Gebäude- und Strassennamen genannt, so natürlich die "Aare", dann die "Enge", der "Gurten" und die historischen Adressen "Hormatsarkade" und "Berchtolds Burg".

Zunächst erscheint Bern mit seiner geografischen Lage als Tor zu den Alpen[30] und eignet sich deshalb bestens als Ausgangspunkt der Reise und der Erzählung. Wie eine glückliche Verheissung steht die Alpenkette im Süden der Stadt:

"Dort, wo die blühenden Töchter der aarumarmeten Berna,
Wallenden Rosen und Lilien gleich, im Schatten des Stadtwalds,
Enge genannt, lustwandeln, erhebt sich dem Blick in der Dämmrung
Zwischen Gebirgen unendlicher Höh', in der Mitte des Hochlands,
Noch von der lange verschwundnen, am Jura versunkenen Sonne
Rosenbekränzt, hellschimmernden Haupts, die herrschende Jungfrau.
[…]
Schneeweiss ragt sie vom Fuss bis zur Scheitel, die hoch in des Lichtraums
Oberstem Blau sich verliert, umreiht von dunklen Gebirgen,
Hold den ätherischen Blick hinwendend, woher sie gesehen wird,
Nirgends so sanft doch, wie fern von der schattigen Enge betrachtet.
Keiner, dem höher das Herz der Natur unweltlicher Zauber
Aufhub, schaute von hier der Himmlischen lächelndes Antliz,
Ohne zu fassen den Wunsch, ihr zu nahn, und, genaht, auch den Saum nur
Ihres krystallnen Gewands, entrückt der Erde, zu küssen." (Baggesen 1836a, I, 12-36)

Dann ist Bern als Siedlung und politisch aber auch eine Stadt und funktioniert in der "Parthenäis" gemäss dem Stadt-Land-Topos (nicht nur) der Idyllentradition als Negativfolie für die idyllischen Alpen. Den mit der Stadt assoziierten Eigenschaften der sittlichen Verdorbenheit und des gesellschaftlichen Zwangs steht die Freiheit verheissende Reinheit und Unberührtheit der Alpenwelt gegenüber. Inwieweit diese Stadtsicht Baggesens reale Bernwahrnehmung wiedergibt oder inwieweit er ein generalisiertes, eventuell kanonisiertes Bild einer Stadt an sich zeichnet, kann hier nicht entschieden werden. Festzuhalten ist immerhin, dass er nur soziale und moralische Charakteristika der städtischen Bevölkerung nennt, nicht aber auf die städtebauliche oder stadthygienische Situation der Stadt selbst, etwa räumliche Enge, Gestank u. dgl., eingeht.[31] In ihrer Funktion als Negativfolie wird die Stadt in der "Parthenäis" also ausschliesslich als soziales Gebilde verstanden. Als typische Eigenschaft der Berner wird ferner auch ihre Langsamkeit oder Gemächlichkeit bezeichnet. Sie wird allerdings nicht unbedingt als Makel aufgeführt, sondern eher liebevoll und nicht ohne humoristische Note beschrieben:

"Schon erreichten die Drey, an der Spitz' ihr Führer, das Posthaus
Eine Minute zu spät nach der vorgeschriebenen Abfahrt.
Aber des Wagens gewiss; weil zur Sicherheit sämmtliche Plätze
Andros hatte bezahlt; auch pflegt das sinnige Bernvolk
Zeit sich zu geben zur Fahrt. Eilweilender Schnelle nur kundig,
Schlendert der hinkende Bote den Weg, und schreitet bedachtsam
Selbst in den dringendsten Fällen die Post. Auch nimmer erhört war
Seit Ur-Berner-Gedenken ein Fall ganz pünktlicher Abfahrt." (Baggesen 1836a, I, 259-266)

Stimmig mit dem tendenziell negativen Stadtbild, das wie gesagt nicht mit Baggesens Bernbild übereinkommen muss, sind die positiv gezeichneten Hauptpersonen der "Parthenäis" zwar durchaus städtisch gewandt - sie vermögen sich, dank ihres Status, den sozialen Codes gemäss zu bewegen - der Stadt gegenüber jedoch negativ eingestellt und ihr auch nicht entstammend. Die drei Schwestern und ihre Eltern, der Gutsherr Andros von Bonal und seine Gattin Theone, leben gemeinsam mit Nordfrank nämlich eigentlich auf dem Land.[32] In der Stadt haben sie bloss deshalb Wohnung genommen, weil das dortige Geschäft von Bonals - in der Ausgabe Baggesen (1808b) handelt es sich dabei um ein Engagement für die Schule seines Ortes, in der Ausgabe Baggesen (1836a) wird es nicht näher spezifiziert - mehr Zeit in Anspruch nimmt als geplant.

"Längst schon hatte versprochen die fahrt zur gepriesenen Jungfrau
Seinen erwachsenen töchtern der gutsherr Andros von Bonal,
Welcher seit einigen monden in Bern, von jedem verehret,
Aber mit wenigen freundlich vertraut, halb fremdling, sich aufhielt.
Immer mit anderer wohl, sich selbst aufopfernd, beschäftigt,
Hatte zur stadt ihn geführt ein bemühn für die schulen des landvolks,
Dort bey den gnädigen herrn; er selbst sonst liebte die stadt nicht.
Eins mit ihm in bestreben und zweck, und in jeglicher neigung,
Sonderlich aber in hirtengeschmack, und in liebe zur alten
Eidgenossischen sitt' und natürlichkeit, lebte der bergfreund,
Welcher mit ihm viel reisen gemacht, der bewanderte Nordfrank.
Dieser war ihm aus Bonal gefolgt, wo die gattin zurückblieb
Mit den untrennlichen töchtern, derweil die männer besorgten
Ihre geschäft' in der stadt. Doch es fand der vater, dass langsam
Eilen würde die sach' und dass monate dürften darauf gehn.
Also sandt' er den freund, die geliebten zu holen; und alle
Hausten nunmehr beysammen in Bern, wie vormals in Bonal,
Nicht viel fragend nach diesem und dem, in häuslicher eintracht."

(Baggesen 1808b, II, 31-48)

"Längst schon hatte versprochen die Fahrt zu den Alpen des Hochlands
Seinen erwachsenen Töchtern der Gutsherr Andros von Bonal,
Welcher seit einigen Monden in Bern halb Fremdling sich aufhielt.
Immer mit Anderer Wohl, sich selbst aufopfernd, beschäftigt,
Hatte zur Stadt ihn geführt ein Bemühn zum Besten des Landvolks,
Dort bei den gnädigen Herrn; er selbst sonst liebte die Stadt nicht,
Treu der Natur und dem Land', und den Freiheit liebenden Musen.
Ganz ihm gleich im Bestreben und Zweck, und in jeglicher Neigung,
Sonderlich aber im hirtlichen Sinn, und in Liebe zur alten
Weltanschauung, lebte mit ihm ein blühender Jüngling,
Nordfrank, scandinavischen Stamms, doch griechischer Bildung,
Welchen zuvor in der Fremd' er gekannt, nunmehro sein Gastfreund.
Dieser war ihm vom Lande gefolgt, wo die Gattin zurückblieb
Mit den untrennlichen Töchtern, derweil die Männer besorgten
Jenes Geschäft. Es hatte gehofft der redliche Volksfreund
Bald es zu endigen; aber er fand, nach Wochen, dass langsam
Eilen würde die Sach', und dass Monate dürften darauf gehn.
Also sandt' er den Freund, die Geliebten zu holen; und alle
Froh des Vereins, sich selber genug, und Zerstreuungen abhold,
Hausten nunmehr beisammen in Berchtolds glänzender Hauptburg,
Widmend Geschäften den Tag, und die Abende holder Erquickung;
Bald mit geselligem Spiel, mit Gesang, und mit mancher Erzählung
Kürzend die Zeit, bald lernend auf Deutsch die Sprache der Götter,
Oft bis tief in die Nacht anhörend mit Wonne, wenn Nordfrank
Andachtsvoll vorlas des Eutinischen Sängers Homeros.
Gleichsam ein althellenisches Haus in der modischen Hauptstadt
Stellten sie dar, schöngläubigen Sinns, voll fröhlicher Einfalt;
Und mit den Musen vertraut genossen die Glücklichen doppelt
Jeglichen Erdengenuss, in der Dichtung himmlischem Spiegel,
Nicht viel fragend nach diesem und dem, in häuslicher Eintracht."

(Baggesen 1836a, I, 65-94)

Mit dem "Hirtengeschmack", der "Liebe zu Sitte und Natürlichkeit" und der "häuslichen Eintracht" werden hier einerseits Assoziationen zu Gessners, andererseits zu Vossens Idyllen geschaffen. Die gessnersche (bzw. arkadische) Idyllenwelt wird denn auch von Theone als vergangen beklagt (vgl. unten) und die vossische wohl im Nicht-viel-Fragen "nach diesem und dem" und der "häuslichen Eintracht" gefunden.

Dem Landleben und der "häuslichen" Idylle der von Bonals wird nun das Stadtleben entgegengesetzt. Dieses zeigt sich zunächst in der Umwerbung, welche die Mädchen von den jungen Herren der Stadt über sich ergehen lassen müssen:

"Aber es frug viel dieser und der nach den lieblichen Schwestern,
Welche durch blühenden Reiz, und besonders sittsamen Anstand,
Allen Holden der Stadt vorstrahleten, immer vereinigt." (Baggesen 1836a, I, 95-97)

Die Stadt ist aber auch sonst verdorben und unschöne Hintergedanken veranlassen bösartiges Gerede. Ebensolches befürchtet Theone von Bonal denn auch, sollten die Töchter alleine mit Nordfrank zu Berge ziehen.

"Herzlich, geliebtester, gönnt' ich die lust den inniggeliebten;
Auch vertraut' ich sie gerne dem schutz des redlichen jünglings;
Aber mich schreckt das gerede der stadt, der verklatschenden, einzig.
Glaubst du, es werde der kleinliche neid, und die müssige scheelsucht
Schweigen dazu, wenn die mädchen allein mit dem fremden genossen,
Also dahinziehn? Leider! das rein' ist rein nur den reinen!
Und wir leben nicht mehr in der zeit der Gessnerschen hirten,
Wenn auch hirten noch selbst, im idyllischen lande des dichters."

(Baggesen 1808b, II, 84-91)

"Herzlich, Geliebtester, gönnt' ich die Lust den Inniggeliebten;
Auch vertraut' ich sie gerne dem Schutz des redlichen Jünglings;
Aber mich schreckt das Gerede der Stadt, voll klatschender Sippheit.
Glaubst du, es werde der kleinliche Neid, und die müssige Scheelsucht
Schweigen dazu, wenn die Mädchen, allein mit dem fremden Genossen,
Also dahinziehn? Leider! das Rein' ist rein nur den Reinen!
Ach! Und wir leben nicht mehr in der Zeit der arkadischen Hirten,
Wenn auch Hirten noch selbst, im idyllischen Lande der Götter."

(Baggesen 1836a, I, 140-147)

Und Andros von Bonal fügt hinzu:

"Dies ist eben das Kranke der Zeit, und die Schwäche der Schwachheit,
Dass auch die Besseren selbst ihr Betragen nach Schlechteren richten,
Und dass die Sitte Gesetz von dem Ungesitteten annimmt.
Scheu vor der Welt ist geworden dadurch die Scheu vor den Göttern;
Ach! und es kränkelt im innersten Keim das Gute durch Scheinfurcht,
Seitdem löblich nur heisst, was stimmt mit verkünstelter Sitte.
Sittlich ist mir, was Sittsame thun; Unschuldiges schuldlos,
Und was dir, Herzreine, gefällt, braucht nimmer den Beifall
Einer verdorbenen Stadt; es gebietet denselben, und obsiegt,
Trotz dem Gerede." (Baggesen 1836a, I, 149-158)

Aber die Stadt hat für die fremde Landbevölkerung offenbar auch durchaus ihren Reiz, so für die Bedienung im Gasthaus "Freihof" in Thun, die den Reisenden das Frühstück serviert:

"Als nunmehro gekleidet erschien die Gruppe der Jungfraun,
Brachte die stattliche Magd, die gerufene, langen Gewandes,
Mit untadlichem Kniks und 'grüss euch Gott,' das Getränke
Heisser arabischer Bohnen in schweizerscher Sahne gemildert;
Und, einschenkend die Tassen, umgieng sie freundlich und munter
Mit rothglühenden Wangen den Kreis, und wallendem Busen;
Schlank von Wuchs, wie die Tann', in gedoppelten Flechten das Haupthaar,
Und voll Seele der schüchterne Blick; dass selber die Holden
Ueber die schöne Gestalt erstauneten, Hebe sie nennend.
Haslithalerin war sie aus Meiringen, dienend im Freihof
Erst seit wenigen Tagen. Die Lust auch Ebnen zu schauen,
Hatte dahin sie geführt, und Verlangen nach städtlicher Bildung.
Thörichte! dürfte sie leicht einmal zu spät, in der Hauptstadt
Künstlich verblüht, die verlassne Natur und geflüchtete Heimat
Weinend bereun! Sie erzählete viel vom Rosenlawinbad,
Richen und Aar', und des ersteren Sturz und den Weiden der Hochfluh[33];
Fragend noch mehr nach dem Goliath Berns und den steinernen Lauben.[34]
Gern mit der Schwatzenden schwatzten ein wenig die freundlichen Jungfraun.
Während sie, Stück nach Stück, den Anzug Jeder mit Neugier
Musterte, Hütchen, und Bänder, und Säckelchen, alles bewundernd." (Baggesen 1836a, III, 70-89)

Der Stadtbevölkerung werden die unverdorbenen Bewohner der Berge gegenübergestellt. Als Bestandteil des Konstruktes "idyllische Alpenwelt" werden die "Hirten […] im idyllischen Lande des Dichters [scil. Gessners]" (vgl. Baggesen 1808b, II, 91) bzw. "im idyllischen Lande der Götter" (Baggesen 1836a, I, 147), wie Theone von Bonal sich ausdrückt, typisiert geschildert: Die junge Frau aus dem letzten Zitat ist "schlank von Wuchs" - als Vergleichssphäre wird hier allerdings nicht, wie bei den patrizischen Schwestern, die Blumen-, sondern die Baumwelt herangezogen: "wie die Tann'" -, trägt "in gedoppelten Flechten das Haupthaar" und ihr "schüchterne[r] Blick" ist "voll Seele". Die ebenfalls aufgebotenen "rothglühenden Wangen" sowie der "wallende[…] Busen" mögen den Erregungszustand, in dem sich die Magd angesichts der städtischen Gesellschaft und deren Garderobe befindet, anzeigen.

Aus der männlichen Bergbevölkerung erscheinen ein freundlicher Greis sowie stämmige Hirten:

"Tröstend einander indess mit der Wallfahrt baldigen Ankunft,
Eilten sie [scil. die Eltern] jetzt zu bereiten das Mahl in der räumigsten Sennte,
Wo sie empfing ein Greis, ein hundertjähriger, freundlich,
Kinder- und Kindeskinder-umringt, mit traulichem Handschlag;
Nicht sie allein. Es begleiteten sie bergkundige Führer,
Hirten aus Grindelwald, breitschultrige, Sprossen des Urstamms,
[…]." (Baggesen 1836a, XI, 77-82)

Später setzt sich Theone von Bonal in eine Sänfte,

"Welche nunmehr zwei Grindler, an Kraft zween Eichen vergleichbar,
Knotig und fest, fortrugen auf nichts empfindenen Schultern." (Baggesen 1836a, XI, 113-114)

Allerdings wird diese typisierte, idealisierte Charakterisierung der Bergbevölkerung in der "Parthenäis" selbst als solche entlarvt und zwar durch die Worte Hermes', der es eher mit den Städtern hält und in den Alpenbewohnern nicht die idyllischen Hirten, sondern bloss bäurische Trampel zu sehen vermag. Wie er Amor im Kreise einer lustigen Festgesellschaft im Haslital antrifft und dieser auch noch die Schönheit der jungen Landleute lobt, ruft er aus:

"Griechen die Haslibewohner? Fürwahr! Nicht täuschet der Sinnspruch:
Um stets Rosen auf Dornen zu sehn, braucht’s Augen des Eros.
Zwar ein Bergkuhäugiges Weib, und ein göttlicher Sauhirt,
Nahn uns dort aufrecht herwandelend; aber es machen
Zwei homerische Schwalben noch nicht homerischen Sommer." (Baggesen 1836a, II, 73-77)

Die Ironie des Ausrufs wird durch die Erweiterung des homerischen Epithetons "kuhäugig" zu "bergkuhäugig" und die Variation des bereits in der Antike belegten Sprichwortes "eine Schwalbe macht noch keinen Sommer" deutlich und von Amor als solche verstanden, worauf er Hermes mit der Drohung in Angst und Schrecken versetzt, ihn in Verliebtheit zu besagter Frau fallen zu lassen.

 

Zusammenfassung

Bern übernimmt in der "Parthenäis" also mehrere Funktionen. Als Stadt an sich bildet es die Kontrastfolie zur idealisierten Darstellung des Landes. Diese Funktion ist in der Gattung "Idylle" angelegt. Da die dargestellte Landschaft als Alpenwelt des Berner Oberlandes identifizierbar ist, liegt es aus geografischen Gesichtspunkten nahe, Bern als Stadt auszuwählen. Als Tor zu den Alpen wird Bern zum Ausgangspunkt der Reise und der Erzählung. Damit wird es aber auch in den Kontext der empfindsamen Alpenreise mit eingeschlossen. In dieser Funktion wird Bern nicht negativ gezeichnet, allerdings auch nicht etwa durch lobende Erwähnung städtischer Sehenswürdigkeiten - der Lauben, der Brunnen oder der Münsterplattform - angepriesen.

Schliesslich und endlich ist die Wahl Berns und des Berner Oberlandes als Schauplätze auf den autobiografischen Charakter zurückzuführen, den die "Parthenäis" hat oder zu haben vorgibt.

 

Schluss und Ausblick

Die deutschsprachige Baggesen-Forschung hat den Bernbezug der "Parthenäis" sicherlich nicht ganz zu unrecht als zweitrangiges Untersuchungsfeld behandelt, trotzdem scheint es mir legitim - und ich hoffe, meine Darstellung hat dies einigermassen plausibel gemacht - Baggesens Unschuldsepos auch als Berner-Idylle zu lesen. Weiteres hierzu liesse sich vermutlich durch Einbezug des Baggesen-Nachlasses in Kiel oder durch Sichtung von Berner-Quellen finden.

Von den nicht weiter verfolgten übrigen Themen, welchen sich eine erneute Beschäftigung mit der "Parthenäis" widmen müsste, sei abschliessend noch auf die Sprache hingewiesen. Eine eingehende sprachliche Analyse der verschiedenen Fassungen der "Parthenäis" sowie anderer Werke könnte vielleicht Aufschluss über die Fortschritte im Zweitsprachenerwerb Baggesens geben. Es darf nicht vergessen werden, dass der Autor hier nicht in seiner Muttersprache schreibt, die er im Übrigen virtuos beherrscht und für deren Literatursprache er Bedeutendes geleistet hat. Manches an lexikalischen Auffälligkeiten in der "Parthenäis", das nicht dem bewusst eingesetzten Dialektvokabular zuzuschreiben ist, liesse sich hieraus erklären.

Im Zusammenhang mit Baggesens Deutsch darf nun auch noch angemerkt werden, dass er der deutschen Sprache das Wort "Umwelt" geschenkt hat (vgl. Albertsen 1965b).

Vielleicht vermögen die obigen Ausführungen zu Baggesen und der "Parthenäis" das Interesse an diesem Autor gerade im Internationalen Jahr der Berge erneut zu wecken, so dass aus den Reihen der Schweizer Germanistik fortan erklänge, was eine "alpinische Jungfrau" einst in Verse goss:[35]

"Zweifle nicht, dass auch in Berns Gefilden
Manches Herz Dich kennt und liebend ehrt,
Von Sophie’n geliebt, der engelmilden,
Bleibst Du ihren Schwestern ewig werth;
Unsre Wünsche möchten Dir so gerne
Lebensblumen streu’n, so licht und schön,
Sie umschweben Dich in Deiner Ferne,
Flüsterns Dir: "auf frohes Wiedersehen!"

 

Anmerkungen

1 Für Hinweise zur Literarisierung des Berner Oberlandes danke ich Barbara Piatti (Basel). [zurück]

2 Deutsch von Carl Friedrich Cramer: "Baggesen oder Das Labyrinth. Eine Reise durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich" (1793-95) und von Gisela Perlet "Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland in die Schweiz 1789" (1986). [zurück]

3 Eine umfassende Bearbeitung der Materie würde Kenntnisse des Dänischen erfordern, die mir gänzlich fehlen. [zurück]

4 Baggesen war Herausgeber des satirischen "Klingklingel Almanachs" (Baggesen 1809). [zurück]

5 Recht umfangreiche Portraits finden sich in den spezialisierten Literaturgeschichten Jürgen/ Heinrich (1993) und Frank (1998). [zurück]

6 Baggesen hat zu Lebzeiten keine philosophischen Abhandlungen veröffentlicht. Seine philosophischen Ansichten finden sich in den literarischen Texten, vornehmlich aber in der Korrespondenz, hier immerhin im Austausch mit namhaften Philosophen wie Reinhold und Jacobi (Baggesen 1831), sowie in nachgelassenen Schriften (Baggesen 1858-1863). Zwei Abhandlungen zur Sprachursprungsfrage und zum Thema "Existenz" finden sich darüber hinaus in Baggesen (1855). [zurück]

7 Zu nennen sind hier die in Baggesen (1855) erschienenen "Vorlesungen über Sprache im Allgemeinen und nordische Sprachen insbesondere", die Baggesen als Professor in Kiel gehalten hat. [zurück]

8 Zürcher ist auch Verfasser eines im "Berner Heim" erschienen Aufsatzes über Sophie von Haller, den ich allerdings nicht konsultiert habe (Zürcher 1908). [zurück]

9 Die der Biografie beigefügten umfangreichen Materialien hingegen sind in den jeweiligen Originalsprachen, Deutsch, Französisch und Dänisch, abgedruckt. [zurück]

10 Den zweiten Vornamen "Immanuel" hat Baggesen aus Verehrung für Kant angenommen (vgl. Schulz 1910, X). [zurück]

11 Baggesen selbst stellt dies im "Labyrinth" jedenfalls so dar (vgl. Baggesen 1986, 62). Die "wollüstige Ahnung", die ihn beim Betrachten des Thuner Sees überkommt, mag allerdings der literarischen Phantasie entsprungen sein. Sie bezieht sich auf das spätere Zusammentreffen mit Sophie von Haller. [zurück]

12 Aus der Stelle bei Albertsen wird allerdings nicht klar, ob der ärztliche Rat zur Heirat in Bad Pyrmont ausgesprochen wurde. [zurück]

13 Zum empfindsamen Alpenreisenden gehört das Führen eines Tagebuches (vgl. Raymond 1993, 127f.). Baggesen schreibt das Seine allerdings in dänischer Sprache (vgl. Zürcher 1912, 18). Die Reiseeindrücke werden ferner in einem dänischen Gedicht und schliesslich, im selben Sommer verfasst, in Baggesens erstem "Alpenlied" in deutscher Sprache verarbeitet (Baggesens 1836c, 169ff.). [zurück]

14 Der Eherodel von Köniz verzeichnet: "Merz 5. 1790. Mit einem Eheschein. H. Jens Baggesen, Professor der schönen Wissenschaften zu Kopenhagen - Jfr. Sophie von Haller von Schenkenberg, Bürgerin von Bern, kopuliert durch H. Hlfr. Müsli." (zit. nach Zürcher 1912, 20, Anm. 3). [zurück]

15 Zum Rousseau-Kult auf der St. Petersinsel vgl. jetzt Piatti (2001). Baggesens Bericht über einen Besuch auf der Insel im Jahre 1789 findet sich in Baggesen (1795). [zurück]

16 Carl Baggesen nennt den 2. Oktober als Todesdatum (vgl. Baggesen 1836b, XV). Die Biografie nennt aber den 3. Oktober (vgl. Baggesen 1843-1856, IV, 447). [zurück]

17 Über die Liebesgeschichte der beiden, von ihrer Begegnung bis zum Tod Sophie von Hallers 1797, ist, gestützt auf Tagebücher und Briefe, ein Buch in dänischer Sprache erschienen (Petersen 1902), das in auszugsweiser, von Elsbeth Rohr besorgter Übertragung ins Deutsche auch im Berner "Bund" (1905, Nr. 75-107) erschienen ist. Ich habe den Text nicht konsultiert. [zurück]

18 Es ist hier schön ersichtlich, wie schwer sich Baggesen zu dieser Zeit noch etwa mit der Unterscheidung von Akkusativ und Dativ getan hat. [zurück]

19 Der Herausgeber Schulz merkt hier an, gemeint seien Baggesen und Moltke. Angesichts des Akkusativ/ Dativ-Problems (vgl. Anm. 18) ist aber vielleicht auch Baggesen alleine gemeint. [zurück]

20 Ein Auszug aus diesem Brief ist in der Biografie unter dem Titel "Die Katastrophe im Thüringer Waldgebirge den 30. Juli 1793" abgedruckt (vgl. Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 8-12). [zurück]

21 Anders als Baggesens Reisebericht "Labyrinth" ist die "Parthenäis" heute nicht mehr greifbar. [zurück]

22 Carl Baggesen nennt im Vorwort zu den "Poetischen Werken in deutscher Sprache" 1802 als Erscheinungsjahr (vgl. Baggesen 1836b, XII und XVI). In der Sekundärliteratur und in Bibliothekskatalogen erscheint auch das Jahr 1804. Das Titelblatt der Ausgabe verzeichnet kein Erscheinungsjahr. Ich setze deshalb dieses und die übrigen unsicheren Erscheinungsdaten im Literaturverzeichnis in eckige Klammern. [zurück]

23 Die Arbeit an dieser Fassung fällt offenbar in das Jahr 1823 (vgl. Baggesen 1836b, XV und XVI). [zurück]

24 Vgl. dazu Raymond (1993). [zurück]

25 Das sieht auch Körner, wenn er am 8. Mai 1803 über die "Parthenäis" an Schiller schreibt: "[…] aber Phantasie und lebendiger Sinn für das Schöne in der physischen und moralischen Welt leuchtet überall hervor […]" (Schiller 1987, 67).[zurück]

26 Die erotische Potenz dieser Szene zeigt sich, durch die explizit geweckte Assoziation an die Dido-Episode der Äneis (vgl. Baggesen 1836a, IV, 257-258), nicht bloss dem Leser, sie erschliesst sich selbst der keuschen Myris, die über die Begegnung sagt: "Würf‘ ich doch selbst ein Gedicht, das dergleichen enthielt‘, aus dem Fenster" (Baggesen 1836a, V, 164). [zurück]

27 In der ersten und zweiten Fassung findet sich die Fussbadszene im ersten Gesang und so gibt Nordfrank gleich eingangs das Modell des Voyeurs. In der dritten Fassung erscheint die Szene dann erst im fünften Gesang und also nach dem hier besprochenen Kleidertrocknen. [zurück]

28 Vgl. zum "Idyllischen Epos" Sengle (1972, 710-723; zur Parthenäis, 712). [zurück]

29 Ähnlich wie Humboldt reagiert auch Körner auf die "Parthenäis", wenn er an Schiller schreibt: "[…] das Herzliche und Zarte wechselt auf eine gefällige Art mit einem gewissen Muthwillen, der sogar die griechische Mythologie zu parodieren wagt" (Schiller 1987, 67f.). [zurück]

30 So etwa auch bei Karamsin (1981, 261). [zurück]

31 Vgl. zur Stadtwahrnehmung der Romantik Frevert (2000). [zurück]

32 In der ersten und zweiten Fassung wird als Wohnort "Bonal" genannt, ein fiktiver Ort, dessen Namen Baggesen Pestalozzis "Lienhard und Gertrud" (1781-1787) entnommen haben mag, wo er allerdings "Bonnal" geschrieben wird (vgl. Pestalozzi 1977). In der Fassung von 1836 kommt "Bonal" dann nur noch als Familienname vor. [zurück]

33 Gemeint sind Rosenlaui, die Reichenbachfälle und die Hohfluh bei Meiringen. [zurück]

34 Die Lauben sind eine der kanonischen Berner Sehenswürdigkeiten, vgl. etwa Karamsin 1981, 260. [zurück]

35 Es handelt sich um die letzte Strophe eines Gedichtes, das "von einer alpinischen Jungfrau" mit der Ort/ Datums-Angabe "Bern, April 1826" verfasst wurde (vgl. Baggesen 1843-1856, IV, Tilloeg, 238). Ich habe nicht versucht, die Verfasserschaft zu klären. [zurück]

 

Literaturangaben

(Die unsicheren Erscheinungsdaten der "Parthenäis" sind in eckige Klammern gesetzt.)

Adelung, Johann Christoph (1793-1801): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 4 Bde. Zweyte vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig.

Albertsen, Leif Ludwig (1964): "Baggesens 'Parthenais' und 'Faust'". Nerthus. Nordisch-deutsche Beiträge 1: 106-137.

Albertsen, Leif Ludwig (1965a): "Baggesen zwischen Vorromantik und Biedermeier. Ein Beitrag zum Verständnis der zwischen 1760 und 1765 geborenen deutschen Dichter". Zeitschrift für deutsche Philologie 84: 563-580.

Albertsen, Leif Ludwig (1965b): "Umwelt". Zeitschrift für deutsche Sprache 21: 115-118.

Albertsen, Leif Ludwig (1967): "Novalismus". Germanisch-romanische Monatsschrift. Neue Folge 17: 272-285.

Albertsen, Leif Ludwig (1969): "Das vorgeformte Wort. Baggesen als Übersetzer und Parodist". Nerthus. Nordisch-deutsche Beiträge 2: 151-185.

Albertsen, Leif Ludwig (1970): "Odinsmythos in Jens Baggesens Dichtung und Philosophie". Germanisch-romanische Monatsschrift. Neue Folge 20: 189-240.

Baggesen, Jens (1795): "Rousseau’s Insel, oder St. Peter im Bielersee". Der neue teutsche Merkur 1: 12-33.

Baggesen, Jens [1803]: Parthenäis oder Die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in neun Gesängen von Jens Baggesen mit sechs Kupfern nach Schnor u. Schubert von Schule. Hamburg und Mainz.

Baggesen, Jens [1808a]: Taschenbuch für Damen. Parthenais oder Der Jungfrauen Wallfahrt zur Jungfrau. Ein Idyllisches Epos in 9 Gesängen von Jens Baggesen. Mit Kupfern. Zweite unveränderte Auflage. Hamburg.

Baggesen, Jens [1808b]: Parthenäis oder Die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in Zwölf Gesängen von Jens Baggesen. Amsterdam.

Baggesen, Jens (Hrsg.) (1809): Der Karfunkel oder Klingklingel-Almanach. Ein Taschenbuch für vollendete Romantiker und angehende Mystiker. Auf das Jahr der Gnade 1810. Tübingen.

Baggesen, Jens [1812]: Taschenbuch für Damen. Parthenäis oder der Jungfrauen Wallfahrt zur Jungfrau. Ein idyllisches Epos in zwölf Gesängen von Jens Baggesen; mit Kupfern. Zweite, umgeänderte Auflage. Hamburg.

Baggesen, Jens (1819): Parthenaïs oder die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in zwölf Gesängen von Jens Baggesen. 2 Bändchen. Neue Auflage: mit sechs Kupfern. Leipzig.

Baggesen, Jens (1831): Aus Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi. Hrsg. von Carl und August Baggesen. 2 Bde. Leipzig.

Baggesen, Jens (1836a): "Parthenais oder die Alpenreise. Ein idyllisches Epos in zwölf Gesängen. Letzte Umarbeitung des Verfassers". In: Baggesen, Jens: Jens Baggesen's poetische Werke in deutscher Sprache. Hrsg. von Carl und August Baggesen. Bd. 1. Leipzig.

Baggesen, Jens (1836c): Jens Baggesen's poetische Werke in deutscher Sprache. Hrsg. von Carl und August Baggesen. Bd. 2. Leipzig.

Baggesen, Jens (1855): Fragmente von Jens Baggesen. Aus dem literarischen Nachlasse des Verfassers. Hrsg. von August Baggesen. Kopenhagen und Leipzig.

Baggesen, Jens (1858-1863): Philosophischer Nachlass. Hrsg. von Carl Baggesen. 2 Bde. Kopenhagen und Zürich.

Baggesen, Jens (1986): Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland in die Schweiz 1789. Aus dem Dänischen übers. und hrsg. von Gisela Perlet. München. [Lizenzausgabe der Ausgabe Leipzig und Weimar 1985].

Baggesen, Carl (1836b): "Vorwort". In: Baggesen (1836a): VII-XXII.

Baggesen, August (1843-1856): Jens Baggesens Biographie. Udarbeidet fornemmeligen efter hans egne Haandskrifter og efterladte litteraire Arbeider. 4 Bde. Kjöbenhavn.

Bernhardt, Rüdiger (1995): "'…nichts (ist) in einer Reisebeschreibung notwendiger (…) als ein Reisender.' Jens Baggesen und die Deutschen". In: Hartung, Günter (Hrsg.): Aussenseiter der Aufklärung. Internationales Kolloquium Halle a. d. Saale, 26.-28. Juni 1992. Frankfurt a.M. etc: 201-217. (=Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte 14)

Frank, Horst Joachim (1998): Literatur in Schleswig-Holstein. Bd. 2. 18. Jahrhundert. Neumünster.

Frevert, Ute (2000): "Stadtwahrnehmungen romantischer Intellektueller in Deutschland". In: Graevenitz, Gerhart von (Hrsg.): Die Stadt in der Europäischen Romantik. Würzburg: 55-78. (=Stiftung für Romantikforschung 11)

Hesse, Ernst Otto (1914): Jens Baggesen und die deutsche Philosophie. Leipzig.

Karamsin, Nikolai (1981): Briefe eines russischen Reisenden. Aus dem Russischen übersetzt von Johann Richter. 2. Aufl. (Ost-)Berlin.

Nägele, Horst (1971): Der deutsche Idealismus in der existentiellen Kategorie des Humors. Eine Studie zu Jens Baggesens ideolinguistisch orientiertem Epos "Adam und Eva". Neumünster.

Perlet, Gisela (1986): "Nachwort". In: Baggesen (1986): 382-396.

Pestalozzi, Johann Heinrich (1977): "Lienhard und Gertrud". In: Pestalozzi, Johann Heinrich: Werke. Hrsg. von Gertrude Cepl-Kaufmann und Manfred Windfuhr. Bd. 1. München.

Peters, Jürgen / Pott, Wilhelm Heinrich (Hrsg.) (1993): Von Dichterfürsten und anderen Poeten. Kleine niedersächsische Literaturgeschichte. Bd. 1. 32 Portraits. Hannover.

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Piatti, Barbara (2001): Rousseaus Garten: eine kleine Kulturgeschichte der St. Petersinsel von Jean-Jacques Rousseau über die Schweizer Kleinmeister bis heute. Basel.

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Sengle, Friedrich (1972): Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815-1848. Bd. 2. Stuttgart.

Zürcher, Otto (1908): "Zwei Enkelinnen von Albrecht von Haller in den Alpen". Berner Heim Nr. 43.

Zürcher, Otto (1912): Jens Baggesens Parthenais. Eine literarhistorische Untersuchung. Leipzig. (=Untersuchungen zur neueren Sprach- und Literaturgeschichte. Neue Folge, 11). [Wiedererschienen als reprografischer Nachdruck, Hildesheim 1977].


 Germanistik in der Schweiz. Online-Zeitschrift der SAGG  1/2002